Notariell beglaubigt?
Folgender Vorfall spielte sich vor einigen Wochen in Berlin ab: Eine Witwe ging zum Notar, um das Testament ihres verstorbenen Gatten eröffnet zu bekommen. Der Notar wollte mit der Verlesung des letzten Willens beginnen, aber dann mußten zwangsläufig die Rollen getauscht werden. Die Witwe las dem Notar das Schriftstück vor.
Wie kam es dazu? Das Testament war in deutscher Schreibschrift abgefaßt, und die konnte der Notar nicht lesen. Übrigens kein hieroglyphenähnliches Gekritzel, sondern eine klare deutsche Kurrent.
Es ist bezeichnend, daß sogar ein Notar, der mit deutscher Schreibschrift beruflich zu tun haben kann, die geringe Mühe scheut, sich wenigstens Grundkenntnisse davon anzueignen.
Süß, Harald: Notariell beglaubigt? in: Die deutsche Schrift. Vierteljahreshefte zur Förderung der deutschen Sprache und Schrift 2/2010, S. 25
Gefangenenpost in deutscher Schrift muß weitergeleitet werden
Im November 2008 ordnete die Justizvollzugsanstalt Celle an, daß die gesamte ausgehende Post eines Strafgefangenen sowie auch die für ihn eingehende Post angehalten bzw. zurüchgesandt wird, wenn sie in Sütterlinschrift verfaßt ist und der Gefangene die Kosten für die Übersetzungen nicht übernimmt. Nach einem Urteil des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 19. Mai 2009 (Aktenzeichen: 1 Ws 248/09 StrVollz) muß die Post von Gefangenen, die in deutscher Schreibschrift wie z. B. Sütterlin geschrieben ist, jedoch weitergeleitet werden!
Nach dem Urteil des Strafsenats gibt es in Deutschland keine verbindlichen Vorschriften darüber, welche Schriftart im Schriftverkehr verwendet werden darf und welche nicht. Sütterlin - so die Urteilsbegründung - wird zwar nicht mehr in den Schulen unterrichtet, kann aber immer noch von großen Teilen der Bevölkerung zumindest gelesen werden.
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