Schriftgeschichte
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Geschichte der deutschen Schrift

 

In dieser Betrachtung geht es um die geschichtliche Entwicklung der deutschen Schreibschrift, bei der die einzelnen Buchstaben nicht mehr alleinstehend geschrieben, sondern miteinander verbunden werden. Die deutsche Schrift, von der es unterschiedliche Ausprägungen gibt, wird auch als Kurrentschrift (lat.: currere = laufen), Laufschrift oder Kursive bezeichnet.
 
 
Anfänge im 14. Jahrhundert
 
Bereits seit dem 14. Jahrhundert entwickelte sich auf der Suche nach einer schreibflüssigeren Verkehrs- und Urkundenschrift die Gotische Kursive als Geschäfts- und Briefschrift, die den eigentlichen Ursprung der deutschen Schreibschrift bildete. Die Gotische Kursive zeichnete sich durch Vereinfachung der Formen und durch Verbindung der Buchstaben aus.
 
 
15. bis 17. Jahrhundert
 
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurden die Buchstaben der Schriften, die mit der Hand geschrieben wurden, durch lange Aufstriche verbunden, wobei die Buchstaben in einem Zug ohne abzusetzen geschrieben wurden. Der bedeutendste Schreibmeister seiner Zeit, Johann Neudörffer der Ältere (1497 – 1563), ein Zeitgenosse des Malers Albrecht Dürers und ebenfalls aus Nürnberg, legte in seinem Schreibbuch von 1538 den Grundstein für die Entwicklung einer eigenständigen deutschen Schreibschrift. Er vereinfachte die Kleinbuchstaben der Frakturschrift und verband sie durch Linien. Für die Großbuchstaben verwendete er weiterhin die Großbuchstaben aus der Frakturdruckschrift. Neudörffer stellte den Schreibern frei, senkrecht, linksschräg oder rechtsschräg zu schreiben. So entstand die Kurrentschrift als Konzept- und Verkehrsschrift und die Kanzleischrift für die Reinschrift von Akten. Die Kanzleischrift ist jedoch nicht so flüssig zu schreiben wie die Kurrentschrift, da manche Buchstaben mit Rauten oder Quadraten verziert wurden.
 
Neudörffers Schüler sorgten im 16. Jahrhundert und noch bis zur Mitte des 17. Jahrhundert für eine weite Verbreitung im deutschsprachigen Raum, indem sie in verschiedenen Städten Schreibschulen gründeten, die eigenständige Weiterentwicklungen der Schrift hervorbrachten. Ein weiterer Schreibmeister des 16. Jahrhunderts, Wolfgang Fugger, veröffentlichte 1553 ein Schreibbuch.
 
Im 17. und auch 18. Jahrhundert entstand bei der Kurrentschrift eine außerordentliche Vielfalt an Formen.
 
 
18. Jahrhundert
 
Die deutsche Schreibschrift wurde im 18. Jahrhundert zum großen Teil von Michael Baurenfeind geprägt. 1710 legte er in Nürnberg seine Entwicklung der Buchstabenformen für den Gebrauch mit dem Gänsekiel fest. Die Großbuchstaben entwickelten sich weg von der Frakturform und bekamen eine schreibflüssigere Kurrentform. Das typische Kennzeichen der Kurrentschrift, der leichte Neigungswinkel der Auf- und Abstriche, fand allgemeine Verwendung. Eine verbindliche Normung der Schulschrift erfolgte 1714 in Preußen. Es wurden dabei die Vorlagen des Schreibmeisters Hilmar Curas übernommen. Diese spitzen Buchstabenformen wurden bald zum Vorbild und dann auch in den anderen deutschen Ländern verwendet.
 
Die englische Schreibschrift beeinflußte Ende des 18. Jahrhunderts die deutsche Schreibschrift. Charakteristisch waren dünne Aufstriche und dicke Abstriche, also an- und abschwellende Linien bei den Buchstaben (Schwellzug) und die gleiche Größe der Ober- und Unterlängen, die aber größer als der mittlere Teil der Buchstaben waren. Außerdem hatte die englische Schreibschrift einen Neigungswinkel von etwa 60 Grad. Es entstand dadurch ein Schriftbild, das wir heute bewundern.
 
Im 18. Jahrhundert verschwanden allmählich die vielen individuellen und willkürlichen Schriftzüge. Es entwickelte sich die deutsche Schreibschrift, die in verschiedenen Ausprägungen bis etwa zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von allen Bevölkerungsgruppen als gängige Hauptschrift verwendet wurde.
 
 
19. Jahrhundert
 
Die Veröffentlichungen von Johann Heinrigs aus dem Jahr 1809 und von Carl Hennig aus dem Jahr 1817 waren bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts für die Formen der Buchstaben maßgebend. Das Schreiben dieser Kurrentschriften, der die dicken und dünnen Striche der Vogelfeder zugrunde lagen, wurde durch die Erfindung der Stahlfeder, die schließlich die Vogelfeder verdrängte, stark erschwert. Das Schreiben mit der Stahlfeder war jedoch besonders für Schreibanfänger wegen der damit verbundenen unnatürlichen Handhaltung eine Qual. Diese neue starre und steife Stahlfeder stand im Gegensatz zur weichen Naturfeder und hatte nicht die nötige Geschmeidigkeit. Der Wechsel zwischen den feinen Aufstrichen und den dicken Abstrichen sowie die Ausführung der an- und abschwellenden Bogenlinien erfolgte nicht mehr durch den Federschnitt, sondern mußte durch ständigen Wechsel des Druckes erzeugt werden. Dadurch ergaben sich zwar sehr genaue und feine Schreibschriften. Das Schriftbild wurde jedoch verflacht. Es fehlten der Schrift die individuellen Eigenheiten und Entfaltungsmöglichkeiten, da sie allzu sehr die Schriftformen der Schreibvorlagen nachahmten.
 
Verschiedene Schreibmethodiker versuchten zwischen 1854 und 1870 die Schrift der schwierigeren Handhabung der nun allgemein verwendeten spitzen Stahlfeder anzupassen, indem sie ziemlich schräge Buchstaben mit Rechtsneigung bis zu 45 Grad und unverhältnismäßig große Ober- und Unterlängen festlegten, worunter jedoch die Lesbarkeit der Schrift stark litt.
 
 
Die Zeit um 1900 bis 1933
 
In der Kurrentschrift um 1900, die man mit der Spitzfeder schrieb, beschränkte man zugunsten besserer Lesbarkeit den Neigungswinkel auf 60 bis 70 Grad und reduzierte das Verhältnis von Ober-, Mittel- und Unterlängen innerhalb der dreistufigen Lineatur auf 2:1:2. Bei den Großbuchstaben gab es auch geringfügige Unterschiede in den Formen.
 
Die Schrifterneuerer Rudolf von Larisch, Rudolf Koch und Ludwig Sütterlin (1865 – 1917) sahen in der spitzen Stahlfeder den Grund für den Niedergang der deutschen Schrift. Schließlich erkannte die preußische Regierung, daß die bisherige Kurrentschrift für das Schreiben mit der Stahlfeder nicht geeignet ist. Der Grafiker Ludwig Sütterlin (1865 – 1917) bekam 1911 vom preußischen Kultur- und Schulministerium den Auftrag, eine für Schulanfänger geeignetere und einfachere Schrift zu entwickeln. Schulanfänger haben eine andere Schreibhaltung und können wegen der kleinen Hände noch nicht aus dem Handgelenk heraus schreiben. Somit vereinfachte Sütterlin daraufhin bei der bisherigen deutschen Schrift stark die Formen der Buchstaben, stellte sie senkrecht (Neigungswinkel von 90 Grad) auf die Grundlinie und verwendete ein Größenverhältnis von 1:1:1 für die Ober-, Mittel- und Unterlängen der Buchstaben. Er schaffte den Schwellzug (dünne Linien bei den Aufstrichen und dicke Linien bei den Abstrichen), so daß die Schrift mit einer Gleichzugfeder (Redisfeder) geschrieben werden konnte. Der Federspur entsprechen die Rundzüge und vielen Kringel bei einer großen Anzahl von Buchstaben. Sütterlins Schrift war als Ausgangsschrift für Schulanfänger gedacht, auf deren Grundlage sich bei den Schreibern später persönliche, individuelle und gefällige Erwachsenenhandschriften entwickeln sollten. Die Sütterlinschrift hatte bewußt nicht den Anspruch, eine besonders schöne und kunstvolle Schrift zu sein, sondern war als Anfängerschrift und als Schrift für die spezielle Anatomie der Kinderhand gedacht. Als Schulausgangsschrift wurde sie ab 1914 versuchsweise und ab 1924 verbindlich in den preußischen Grundschulen gelehrt. In den 1920er Jahren löste sie somit die deutsche Kurrentschrift weitgehend ab. Bis 1930 wurde sie in den meisten deutschen Ländern als offizielle Unterrichtsschrift gelehrt und bis zum Verbot 1941 (vgl. s. u.) von Millionen Schülern erlernt.
 
Rudolf Koch (1876 – 1934) entwickelte 1927 die Offenbacher Schrift. Er richtete sich im Gegensatz zu Sütterlin wieder mehr nach der ursprünglichen deutschen Kurrentschrift und wollte leichte Schreibbarkeit mit künstlerischer Schönheit verbinden. Die Offenbacher Schrift, auch Rudolf-Koch-Kurrent genannt, hat einen Neigungswinkel von 75 bis 80 Grad. Die Ober-, Mittel- und Unterlängen weisen in der Lineatur ein Größenverhältnis von 2:3:2 auf. Da die Abstriche der Buchstaben breite Verstärkungen aufweisen, schreibt man die Offenbacher Schrift am besten mit der Bandzugfeder. Die künstlerisch gestaltete und dennoch gut schreibbare Offenbacher Schrift konnte sich jedoch an den Schulen nicht durchsetzen und war nur an einigen Schulen in Hessen (Koch lebte und wirkte vorwiegend in Hessen) in Gebrauch. Von 1950 bis 1955 wurde sie in abgewandelter Form (Koch-Hermersdorf-Schrift, s. u.) in Bayern als Zweitschrift unterrichtet. Große Anerkennung erhielt diese Schrift jedoch in Schriftfachkreisen, in denen sie stark verbreitet war und ist.
 
 
Die Zeit von 1933 - 1945 

Sütterlins Schrift konnte sich in fast allen deutschen Ländern in den Schulen durchsetzen. Jedoch gabe es auch gebietsweise etliche Abweichungen von der Norm. In Bayern wurde beispielsweise im Schuljahr 1933/34 die „Volksschrift“ gelehrt. Um eine völlige Vereinheitlichung für ganz Deutschland zu erreichen, durfte ab dem Schuljahr 1935/36 in allen deutschen Ländern nur noch die Richtformen der Verkehrsschrift von 1934 gelehrt werden. Grundlage dieser Schrift waren Sütterlins Buchstaben. Die Schrift hatte eine leichte Neigung nach rechts und die kindlich wirkenden Kringel waren beseitigt. Ab 1941 wurde die deutsche Schrift mit fadenscheinigen und falschen Begründungen („Judenlettern“) aus den Lehrplänen der Schulen verbannt und gänzlich abgeschafft. Es durfte nur noch die lateinische Schreibschrift gelehrt werden.

 

Die Zeit nach 1945
 
Der Erlaß von 1941 wirkte auch nach 1945 weiter nach mit der Folge, dass die deutsche Schrift in keinem Bundesland mehr als Erstschrift an den Schulen gelehrt wurde. Lediglich die Unterrichtung als Zweitschrift und innerhalb des Schönschreibunterrichts war in verschiedenen Bundesländern teilweise etwa zwei Jahrzehnte möglich.
 
Nach 1945 wurde die deutsche Schrift in unterschiedlichen Ausprägungen z. B. in Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen zum Teil bis in die späten 1970er Jahre gelehrt. Dies geschah teilweise als Zweitschrift und teilweise innerhalb des Faches Schönschreiben der 3. und 4. Klassen. Z. B. wurde in Bayern von 1950 bis 1955 die Koch-Hermersdorf-Schrift als Zweitschrift unterrichtet. Martin Hermersdorf (1894 – 1981), ein Schüler von Rudolf Koch, hatte die Offenbacher Schrift überarbeitet und mit Kochs Einverständnis einige Buchstaben neu gestaltet. Diese Schrift veröffentlichte Hermersdorf 1950. Von 1955 – 1971 wurde in Bayern innerhalb des Schönschreibunterrichts eine eigene Ausprägung der Sütterlinschrift, die an den Formen der Verkehrsschrift von 1934 angelehnt war, an den Schulen unterrichtet.
 
 
Zulassung der Sütterlinschrift im Schriftverkehr mit Behörden

Das Bundesverwaltungsamt in Köln gab am 25.11.1999 durch Frau Dr. Astrid Stein die Auskunft, daß Schreiben an Behörden und Ämter auch in Sütterlinschrift zulässig sind, da es sich hierbei um eine deutsche Schreibschrift handelt. Als Folge ergibt sich durch diese amtliche Auskunft, daß solche Schreiben dann auch nicht zurückgewiesen werden dürfen. Quelle: Die deutsche Schrift 1/2001, S. 23. 

 
Nachwort
 
600 Jahre lang – vom 14. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – wurde im deutschen Sprachraum überwiegend deutsch geschrieben. Inzwischen führen die deutsche Schreibschrift und die deutsche Frakturdruckschrift nur noch ein Nischendasein. Araber, Chinesen, Russen (kyrillische Schrift), Japaner, Israeli (hebräische Schrift) und Griechen sowie zahlreiche andere bedeutende Völker denken nicht im geringsten daran, ihre eigenen jahrhundertealten und bewährten Gebrauchsschriften aufzugeben. Und wir Deutschen?
 
 
 
 

     Literatur 

  • Bund für deutsche Schrift und Sprache e. V. (Hg.): Deutsche Schrift, o. O. o. J.
  • Grun, Paul Arnold: Leseschlüssel zu unserer alten Schrift, Grundriß der Genealogie 5, Limburg 2002 (= unveränderte Auflage von 1934)
  • Neugebauer, Franz: Die Schreibschrift, o. O. o J.
  • Newton, Gerald: Wie Phönix aus der Asche. Fall und Wiedergeburt der gebrochenen Schriften, Bund für deutsche Schrift und Sprache/Schriftenreihe 14, Seesen 2005
  • Süß, Harald: Deutsche Schreibschrift. Lesen und Schreiben lernen, München 2002

 


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